Bericht über die Zeit während und nach Ebola in Sierra Leone

 

(Bericht von Sebastian Wenz, veröffentlicht am 26. Oktober 2015)

 

Am 13. Oktober 2015 bin ich nach etwa zweieinhalb Jahren wieder nach Sierra Leone gereist. Bereits am Flughafen wurde schnell deutlich, dass ich Ebola-Gebiet betrete. Zunächst wurden alle Passagiere aufgefordert, ihre Impfausweise vorzuzeigen, dann wurde Fieber gemessen und man musste sich die Hände mit Chlorine waschen. Ansonsten kam mir jedoch alles normal vor.

 

Nach nur wenigen Tagen in Freetown wurde mir bewusst, dass die Ebola-Krise in Sierra Leone tiefere Spuren hinterlassen hat, als ich gedacht hätte. Zum einen ist Ebola noch visuell sichtbar: durch bemalte Wände mit Warnhinweisen wie „Ebola is real“ oder „Together we fight Ebola“, durch Eimer mit Chlorine, die vor fast jedem Gebäude standen, um sich vor dem Eintritt die Hände zu waschen, durch Ebola-Friedhöfe (siehe Bild 1), durch etliche Ebola-Checkpoints entlang von Hauptstraßen insbesondere auf dem Land und durch während der Ebola-Krise entstandene Ebola-Behandlungszentren, von denen manche noch existierten. Weniger präsent war Ebola in Gesprächen unter Sierra-Leonern. Erst wenn man selbst das Thema darauf lenkte, wurde ausführlich erzählt, wie die Krise erlebt und wie sich vor Ebola geschützt wurde.

 

Bild 1: Ebola-Friedhof

 

Freetown habe ich immer als sehr lebendig erlebt: geschäftiges Treiben, viel Verkehr, überall Menschen, Gehupe, laute Musik und Auspuffgase – ich kann mir gar nicht richtig vorstellen, wie Freetown während der Hochzeit von Ebola gewesen sein muss: Geschlossene Märkte und Bars, Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit, im Transport sowie Ausgangssperren verhinderten ein „normales“ Leben. Mittlerweile ist fast alles wieder wie gehabt – Freetown ist lebendig wie eh und je. Lediglich sonntags gibt es noch Restriktionen bzgl. des Handels: Alle Märkte müssen geschlossen bleiben. Auch Straßenhandel ist nicht erlaubt. Lediglich die offiziell als Restaurant registrierten Lokalitäten sind geöffnet.

 

Dennoch sind mir seit meiner Ankunft einige Dinge aufgefallen, die für mich auf die Ebola-Krise, aber auch auf den Zusammenbruch des Eisenerzsektors in Sierra Leone zurückzuführen sind. Der Eisenerzsektor war der größte private Arbeitgeber in Sierra Leone. Die beiden in Sierra Leone operierenden Eisenerzunternehmen sind aufgrund fallender Weltmarktpreise für Rohstoffe bankrottgegangen. Somit sind tausende gut bezahlte Jobs weggefallen. Die Pleite der beiden Eisenerzunternehmen fiel in die Zeit von Ebola – allerdings war Ebola nicht der Grund für dafür.

Stichwortartig möchte ich im Folgenden die aus meiner persönlichen Perspektive prägnantesten Veränderungen im Vergleich zu vor etwa drei Jahren aufzeigen:

 

  • Preisanstieg für Lebensmittel: Zunächst ist mir aufgefallen, dass die Preise für Lebensmittel, vor allem in Restaurants und Bars, deutlich gestiegen sind. Im Vergleich zu 2012 haben sich die Preise mancherorts gar verdoppelt. Die Preise für Reis, (Palm-)Öl, Obst und Gemüse auf Märkten sind dagegen nicht im gleichen Umfang gestiegen. Nach der Ebola-Krise haben sich die Preise in diesem Fall wieder einigermaßen eingependelt.
  • Weniger Verkehr: Vielleicht trügt mich der Schein, aber mir kommt es so vor, als wenn der Verkehr in Freetown im Vergleich zu vor drei Jahren weniger wurde. Mit dem Auto hat man früher meist Stunden gebraucht, um nur wenige Kilometer zurückzulegen. Dies ist heute (bisher zumindest) anders. Auffällig ist, dass sich vor allem weniger Privatfahrzeuge auf Freetowns Straßen bewegen. Dagegen gibt es um so mehr Fahrzeuge internationaler Oganisationen (UN-Organisationen (WHO, UNDP, UNICEF, FAO, WFP, etc.), Ärzte ohne Grenzen, Rotes Kreuz, Roter Halbmond und viele mehr) – und natürlich öffentliche Transportmittel (Taxis, Poda-Podas (Kleinbusse) und Okadas (Motorräder)). Eine These mag sein, dass während der Ebola-Krise viele Mittelklasse-Sierra-Leoner das Land verlassen haben und durch die Pleite der beiden großen Eisenerzunternehmen gut bezahlte Jobs weggefallen sind.
  • Die Treibstoffepreise sind gefallen: Die sierra-leonische Regierung subventioniert seit jeher Treibstoff, um die Transportkosten, sowohl für Menschen wie auch für Güter, gering und somit bezahlbar zu halten. Öffentliche Transportmittel sind die Hauptschlagader von Sierra Leones Wirtschaft. Meine Einschätzung ist, dass der Anstieg von Preisen für Güter des täglichen Bedarfs (Lebensmittel etc.) von der Regierung mit einer stärkeren Subventionierung der Treibstoffpreise ausgeglichen wird, weil somit die Transportkosten konstant und bezahlbar gehalten werden. Dies ist nicht nur für die Passagiere wichtig, sondern auch für die Chauffeure – der Transportsektor bietet tausende von Jobs vor allem für Leute mit mittlerem bis niederem Bildungsstand.
  • Leere Bars: Vor drei Jahren waren Bars an jedem Wochentag prall gefüllt. Insbesondere nach Feierabend saßen Arbeitskollegen noch gemeinsam in einer Bar zusammen. Heute sind die Bars maximal am Wochenende noch gut besucht. Wie oben geschrieben, sind die Preise für Essen und Getränke in Restaurants und Bars enorm gestiegen. Es gibt kaum mehr noch eine Mittelklasse, die sich einen regelmäßigen Bar- oder Restaurantbesuch leisten kann.
  • Stop vieler Infrastrukturprojekte: Viele Bauprojekte, insbesondere Privathäuser, sind in den vergangenen zwei Jahren mitten im Prozess gestoppt worden. Dadurch gibt es übermäßig viele Bauruinen in Freetown. Sogar Straßenbauprojekte sind teilweise eingestellt worden, weil sich die damit beauftragten Firmen während der Ebola-Krise aus Sierra Leone zurückgezogen haben. Insgesamt hat sich die gesamte Infrastruktur in der Hauptstadt und auf dem Land im Vergleich zu vor drei Jahren verschlechtert. Weil ungeteerte Landstraßen üblicherweise nach der Regenzeit (Ende November/Anfang Dezember) rehabilitiert werden, sind vor allem diese in einem miserablen Zustand, da letztes Jahr in der Rehabilitationsphase das Ebola-Virus wütete. Dies trifft auch auf die Straße von Kambia nach Madina zu, die wir regelmäßig befahren, um dem Waisenhaus einen Besuch abzustatten (siehe Bild 2). Unseren Projekt-Lkws bekommen die schlechten Straßenverhältnisse leider gar nicht gut.

Bild 2: miserable Straßenverhältnisse

  • Straßenkontrollen auf dem Weg von Freetown nach Madina: Insgesamt acht Straßensperren habe ich auf dem Weg von Freetown nach Madina gezählt. Vor drei Jahren waren es zwei, maximal drei. Diese sind so eingerichtet, dass alle Menschen, die eine Straßenkontrolle passieren, aus dem Fahrzeug aussteigen müssen, um durch einen schmalen Korridor zu laufen, so dass jede Person überprüft werden kann. Als ich an dem Tag, als Sierra Leone als ebolafrei erklärt wurde, nach Madina gefahren bin, mussten wir bereits nicht mehr aus unserem Fahrzeug aussteigen. Lediglich die Körpertemperatur wurde noch gemessen – allerdings eher halbherzig.
  • Chlorine-Eimer: Bevor man ein Gebäude betritt – dies trifft nicht auf Privathaushalte zu – ist jede Person angehalten, sich die Hände mit Chlorine (Desinfektionsmittel) zu waschen. Zudem wird meistens die Körpertemperatur gemessen. Auffällig sind  die Chlorine-Eimer, die vor fast jedem Gebäude oder im Eingangsbereich stehen (siehe Bild 3).

Bild 3: Chlorine-Eimer

  • Unsicherheit bzgl. Körperkontakt: Zu Beginn meines Aufenthaltes lernte ich viele neue Menschen kennen. Vor dem Händeschütteln wurde üblicherweise zunächst gefragt, ob dies mittlerweile wieder erlaubt sei. Viele vermieden jeglichen Körperkontakt noch. Doch spätestens nachdem Sierra Leone am 7. November dieses Jahres von der WHO als ebolafrei deklariert wurde, geben sich alle wieder die Hände.

 

Grundsätzlich denke ich, dass die Menschen nach der schlimmen Krise froh sind, wieder Normalität in ihren Alltag zu bringen und nach vorne zu blicken, ohne viele Worte über Ebola selbst zu verlieren. Genau so habe ich die Mentalität der Menschen in Sierra Leone in den vergangenen Jahren auch kennen- und schätzen gelernt. Nach vielen Gesprächen mit den Menschen, die während Ebola hier waren, glaube ich zudem, dass die Krise in westlichen Medien wesentlich mehr präsent war, als in Sierra Leone selbst. Viele Leute teilten mir mit, dass sie selbst nie einen Ebola-Kranken geschweige denn einen dieser mit Schutzanzügen bekleideten Helfer gesehen hätten. Lediglich die Auswirkungen der oben genannten Restriktionen sowie die steigenden Preise seien deutlich zu spüren gewesen – und sind es nach wie vor noch.

 

Wenn ich durch Freetown fahre und sehe, unter welchen teils furchtbaren (hygienischen) Bedingungen viele Menschen hier leben, dann wundert es mich, dass dieses schlimme Virus nicht noch mehr Menschenleben gefordert hat. Zudem stelle ich mir häufig die Frage, wie die ganz einfachen Menschen, die etwas Straßenhandel betreiben, Taxifahrer sind oder auf Märkten Dinge verkaufen, ihren Lebensunterhalt sichern, was durch die Ebola-Krise nochmal schwieriger wurde als zuvor. Auch das Waisenhaus, für das wir uns seit nun über fünf Jahren engagieren, leidet nach wie vor unter den Auswirkungen der Krise. Deshalb setzen wir unser Engagement mit aller Kraft fort.

 

Dies sind meine ersten Eindrücke seit meiner Ankunft in Sierra Leone, die natürlich keinerlei Repräsentativität beanspruchen. Dennoch hoffe ich, einen etwas besseren Eindruck vermittelt zu haben, als das durch die Medien möglich ist. Ich war selbst gespannt, wie es denn wirklich während und nach der Ebola-Zeit in Sierra Leone sein würde. Die ganze Situation macht mich sehr betroffen. Das ist ein großer Unterschied im Vergleich zu meinen bisherigen Aufenthalten.

Bei Fragen stehe ich gerne unter meiner Email-Adresse aidformech@mech-orphanage.com zur Verfügung.

 

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